Medicus:Ludwig Medicus (1927)
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+ | Traditionelle Werte bewahren | ||
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+ | Über Kopfsteinpflaster schlendert man durch die beschaulichen Sträßchen in Gernsheim, gegenüber der Kirche stößt man auf ein alteingesessenes Traditionsgeschäft. „Medicus" steht über dem Eingang, der von zwei großen Schaufenstern flankiert ist. Durch die Fensterscheibe fällt der Blick in die Welt von Ludwig Medicus, der in Gernsheirn einen einzigartigen Lebensmittel- und Spielzeugladen betreibt. Während überall moderne Supermärkte das Bild bestimmen, scheint hier | ||
+ | die Zeit stehen geblieben zu sein. Die alten Holzregale und Vitrinen wirken nostalgisch, das Sortiment ist im Laufe der Jahre zurückgegangen. Es ist eine bunte, kleine Welt, über die der 83-Jährige zusammen mit seiner Schwester Amelie herrscht: Auf 60 Quadratmetern gibt es Zucker, Milch, Süßigkeiten, Gurken, Würstchen, Bier, Zahnbürsten, Shampoo, Kaffee und Toilettenpapier. Die Auswahl an Spielwaren ist stattlich. Kasse oder Scan sucht man hingegen vergeblich. Der alte Herr mit den wachen blauen Augen rechnet die Einkäufe fein säuberlich auf einem Notizblock usammen. | ||
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+ | Er kann sich noch an die Zeit erinnern, als es Mehl offen zu kaufen gab und die Nachbarn mit Tellern kamen und die Kundinnen ihre Rabattmarken für ein paar Nylonstrümpfe eintauschten. Der Ladenbesitzer erzählt gerne von früher. Sein Laden ist ein Ort der Ruhe und der Beschaulichkeit jenseits der großen Hektik anonymer Supermärkte. „Ich höre oft von den Kunden: Bitte renovieren sie nicht! Und viele kommen immer wieder, weil sie schon als Kind hier Wundertüten, Brause und Gummibärchen für 10 Pfennig eingekauft haben", erzählt Ludwig Medicus. Keinen Gedanken ans Auf hören verschwendet der ältere Herr momentan. Er ist glücklich mit seinem Leben zwischen den Lebensmitteln, den Spielwaren, dem Schreibtisch und seinen Kunden. 1800 hat Philipp Medicus den Laden eroffnet fünf Generationen später folgte Ludwig Medicus. „Träume habe ich immer gehabt", sagt der 83-Jährige mit dem schlohweißen Haar. Sprengstofftechniker wollte er werden. Aber das Leben hatte einen anderen Plan. Der Vater fiel im Krieg und als der gerade einmal 18jährige Ludwig im September 1945 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, unterstützte er selbstverständlich seine Mutter und nahm so seinen Platz im elterlichen Geschäft ein. Das war alles andere als einfach, weiß der Kaufmann zu berichten: „Durch die Bombardierung der Alliierten war wirklich alles, was wir hatten, abgebrannt. Mühsam haben wir dann unseren Laden im Laufe der Jahre wieder aufgebaut bis zur offizellen Wiedereröffnung im Dezember 1952. Zwischenzeitlich haben wir das Geschäft behelfsmäßig in verschiedenen anderen Häusern in Gernsheirn weitergeführt." | ||
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+ | 65 Jahre später steht der drahtige Kaufmann zusammen mit seiner sieben Jahre jüngeren Schwester noch immer an sechs Tagen in der Woche hinter der Ladentheke. In Gernsheim ist der Laden einer der letzten seiner Art. Vor Jahrzehnten habe es hier viele Geschäfte gegeben, weiß der in | ||
+ | Gernsheirn auch lebende Händler zu berichten und kramt in der Erinnerung:„Über 30 Läden, angefangen bei Metzgereien, Bäckereien über Gemüse- und Obstgeschäfte bis hin zu diversen | ||
+ | Feinkostläden, gab es einmal." | ||
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+ | Amelie Medicus unterstützt ihren Bruder im Geschäft und im Haushalt. So kocht die lebenslustige | ||
+ | Dame jeden Mittag für sich und ihren Bruder und zum Wochenende backt sie Kuchen. „Der Kirschkuchen zählt zu meinen Leibspeisen", erzählt die kleine Schwester, die, seit sie denken kann, auch schon immer im Laden mit angepackt hat. Familientradition wird bei den Geschwister Medicus nicht nur im Geschäft großgeschrieben_Schon meine Mutter hat den Kirschkuchen nach | ||
+ | dem Rezept ihrer Großmutter zubereitet", erzählt die 75-Jährige, „aber unter der Woche bleibt für solche Leckereien nicht immer so viel Zeit!" | ||
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+ | Auch wenn die beiden Herrschaften seit vielen Jahrzehnten tagaus tagein hinter der Ladentheke stehen, strahlen sie noch immer viel Freundlichkeit und Menschlichkeit aus und jeder Kunde ist König. „Natürlich muss man auch an das Geschäft denken", so Ludwig Medicus "aber der Gewinngedanke steht bei uns nicht im Mittelpunkt." Da lässt man auch den einen oder anderen Kunden anschreiben und steckt den Kindern einen Bonbon zu, man nimmt sich Zeit für ein Schwätzchen und hat immer ein offenes Ohr für die Kunden, und auch außerhalb der Ladenzeiten wird die Tür geoffnet, damit sich ein Schuljunge den Nachhauseweg versüßen kann. Schön, dass es so etwas noch gibt. | ||
[[Datei:LudwigMedicusLaden1927.pdf]] | [[Datei:LudwigMedicusLaden1927.pdf]] |